Donnerstag, 3. Juni 2010

Eigensinn

Eine Tugend gibt es, die liebe ich sehr, eine einzige. Sie heißt
Eigensinn. - Von allen den vielen Tugenden, von denen wir in Büchern
lesen und von Lehrern reden hören, kann ich nicht so viel halten. Und
doch könnte man alle die vielen Tugenden, die der Mensch sich erfunden
hat, mit einem einzigen Namen umfassen. Tugend ist: Gehorsam. Die
Frage ist nur, wem man gehorche. Nämlich auch der Eigensinn ist
Gehorsam. Aber alle andern, so sehr beliebten und belobten Tugenden
sind Gehorsam gegen Gesetze, welche von Menschen gegeben sind. Einzig
der Eigensinn ist es, der nach diesen Gesetzen nicht fragt. Wer
eigensinnig ist, gehorcht einem anderen Gesetz, einem einzigen,
unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst, dem »Sinn« des
»Eigenen«.

Es ist sehr schade, daß der Eigensinn so wenig beliebt ist! Genießt er
irgendwelche Achtung? O nein, er gilt sogar für ein Laster oder doch
für eine bedauerliche Unart. Man nennt ihn bloß da bei seinem vollen,
schönen Namen, wo er stört und Haß erregt. (Übrigens: wirkliche
Tugenden stören immer und erregen Haß. Siehe Sokrates, Jesus, Giordano
Bruno und alle anderen Eigensinnigen.) Wo man einigermaßen den Willen
hat, Eigensinn wirklich als Tugend oder doch als hübsche Zierde gelten
zu lassen, da schwächt man den rauhen Namen dieser Tugend nach
Möglichkeit ab. »Charakter« oder »Persönlichkeit« - das klingt nicht
so herb und beinah lasterhaft wie »Eigensinn«. Das tönt schon
hoffähiger, auch »Originalität« läßt man sich zur Not gefallen.
Letztere freilich nur bei geduldeten Sonderlingen, bei Künstlern und
solchen Käuzen. In der Kunst, wo der Eigensinn keinen merklichen
Schaden für Kapital und Gesellschaft anrichten kann, läßt man ihn als
Originalität sogar sehr gelten, beim Künstler gilt ein gewisser
Eigensinn geradezu für wünschenswert; man bezahlt ihn gut. Sonst aber
versteht man unter »Charakter« oder »Persönlichkeit« in der heutigen
Tagessprache etwas äußerst Verzwicktes, nämlich einen Charakter, der
zwar vorhanden ist und gezeigt und dekoriert werden kann, der sich
aber bei jedem irgend wichtigen Anlaß sorgfältig unter fremde Gesetze
beugt. »Charakter« nennt man einen Mann, der einige eigene Ahnungen
und Ansichten hat, aber nicht nach ihnen lebt. Er läßt nur ganz fein
so je und je durchblicken, daß er anders denkt, daß er Meinungen hat.
In dieser sanften und eitlen Form gilt Charakter auch schon unter
Lebenden für Tugend. Hat aber einer eigene Ahnungen und lebt wirklich
nach ihnen, so geht er des lobenden Zeugnisses »Charakter« verlustig,
und es wird ihm nur »Eigensinn« zuerkannt. Aber nehmen wir doch das
Wort einmal wörtlich! Was heißt denn »Eigensinn«? Das, was einen
eigenen Sinn hat. Oder nicht?

Einen »eigenen Sinn« nun hat jedes Ding auf Erden, schlechthin jedes.
Jeder Stein, jedes Gras, jede Blume, jeder Strauch, jedes Tier wächst,
lebt, tut und fühlt lediglich nach seinem »eigenen Sinn«, und darauf
beruht es, daß die Welt gut, reich und schön ist. Daß es Blumen und
Früchte, daß es Eichen und Birken, daß es Pferde und Hühner, Zinn und
Eisen, Gold und Kohle gibt, das alles kommt einzig und allein davon
her, daß jedes kleinste Ding im Weltall seinen »Sinn«, sein eigenes
Gesetz in sich trägt und vollkommen sicher und unbeirrbar seinem
Gesetze folgt.

Einzig zwei arme, verfluchte Wesen auf Erden gibt es, denen es nicht
vergönnt ist, diesem ewigen Ruf zu folgen und so zu sein, so zu
wachsen, zu leben und zu sterben, wie es ihnen der tief eingeborene
eigene Sinn befiehlt. Einzig der Mensch und das von ihm gezähmte
Haustier sind dazu verurteilt, nicht der Stimme des Lebens und
Wachstums zu folgen, sondern irgendwelchen Gesetzen, die von Menschen
aufgestellt sind und die immer von Zeit zu Zeit wieder von Menschen
gebrochen und geändert werden. Und das ist nun das Sonderbarste: Jene
wenigen, welche die willkürlichen Gesetze mißachteten, um ihren
eigenen, natürlichen Gesetzen zu folgen - sie sind zwar meistens
verurteilt und gesteinigt worden, nachher aber wurden sie, gerade sie,
für immer als Helden und Befreier verehrt. Dieselbe Menschheit, die
den Gehorsam gegen ihre willkürlichen Gesetze als höchste Tugend bei
den Lebenden preist und fordert, dieselbe Menschheit nimmt in ihr
ewiges Pantheon gerade jene auf, die jener Forderung Trotz boten und
lieber ihr Leben ließen, als ihrem »eigenen Sinn« untreu wurden.

Das »Tragische«, jenes wunderbar hohe, mystisch-heilige Wort, das so
voll von Schauern aus einer mythischen Menschheitsjugend her ist und
das jeder Berichterstatter täglich so namenlos mißbraucht, das
»Tragische« bedeutet ja gar nichts anderes als das Schicksal des
Helden, der daran zugrunde geht, daß er entgegen den hergebrachten
Gesetzen dem eigenen Sterne folgt. Dadurch, und einzig dadurch,
eröffnet sich der Menschheit immer wieder die Erkenntnis vom »eigenen
Sinn«. Denn der tragische Held, der Eigensinnige, zeigt den Millionen
der Gewöhnlichen, der Feiglinge, immer wieder, daß der Ungehorsam
gegen Menschensatzung keine rohe Willkür sei, sondern Treue gegen ein
viel höheres, heiligeres Gesetz. Anders ausgedrückt: der menschliche
Herdensinn fordert von jedermann vor allem Anpassung und Unterordnung
- seine höchsten Ehren aber reserviert er keineswegs den Duldsamen,
Feigen, Fügsamen, sondern gerade den Eigensinnigen, den Helden.

Wie die Berichterstatter die Sprache mißbrauchen, wenn sie jeden
Betriebsunfall in einer Fabrik »tragisch« nennen (was für sie, die
Hanswurste, gleichbedeutend ist mit »bedauerlich«), so tut die Mode
nicht minder unrecht, wenn sie vom »Heldentod« all der armen,
hingeschlachteten Soldaten spricht. Das ist auch so ein Lieblingswort
der Sentimentalen, vor allem der Daheimgebliebenen. Die Soldaten, die
im Kriege fallen, sind gewiß unsres höchsten Mitgefühls würdig. Sie
haben oft Ungeheures geleistet und gelitten, und sie haben schließlich
mit ihrem Leben bezahlt. Aber darum sind sie nicht »Helden«, so wenig
wie der, der eben noch ein einfacher Soldat war und vom Offizier wie
ein Hund angeschrien wurde, durch die tötende Kugel plötzlich zum
Helden wird. Die Vorstellung ganzer Massen, ganzer Millionen von
»Helden« ist an sich widersinnig.

Der »Held« ist nicht der gehorsame, brave Bürger und Pflichterfüller.
Heldisch kann nur der Einzelne sein, der seinen »eigenen Sinn«, seinen
edlen, natürlichen Eigensinn zu seinem Schicksal gemacht hat.
»Schicksal und Gemüt sind Namen eines Begriffes«, hat Novalis gesagt,
einer der tiefsten und unbekanntesten deutschen Geister. Aber nur der
Held ist es, der den Mut zu seinem Schicksal findet.

Würde die Mehrzahl der Menschen diesen Mut und Eigensinn haben, so
sähe die Erde anders aus. Unsere bezahlten Lehrer zwar (dieselben, die
uns die Helden und Eigensinnigen früherer Zeiten so sehr zu rühmen
wissen) sagen, es würde dann alles drüber und drunter gehen. Beweise
haben und brauchen sie nicht. In Wirklichkeit würde unter Menschen,
die selbständig ihrem inneren Gesetz und Sinn folgen, das Leben
reicher und höher gedeihen. In ihrer Welt würde manches Scheltwort und
mancher rasche Backenstreich vielleicht ungesühnt bleiben, welcher
heute ehrwürdige staatliche Richter beschäftigen muß. Es würde auch
hin und wieder ein Totschlag passieren - kommt das trotz allen
Gesetzen und Strafen nicht auch heute vor? Manche furchtbare und
unausdenklich traurige, irrsinnige Dinge aber, die wir mitten in
unserer so wohlgeordneten Welt schauerlich gedeihen sehen, wären dann
unbekannt und unmöglich. Zum Beispiel Völkerkriege.

Jetzt höre ich die Autoritäten sagen: »Du predigst Revolution.«

Wieder ein Irrtum, der nur unter Herdenmenschen möglich ist. Ich
predige Eigensinn, nicht Umsturz. Wie sollte ich Revolution wünschen?
Revolution ist nichts anderes als Krieg, ist genau wie dieser eine
»Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln«. Der Mensch aber, der
einmal den Mut zu sich selber gefühlt und die Stimme seines eigenen
Schicksals gehört hat, ach, dem ist an Politik nicht das mindeste mehr
gelegen, sie sei nun monarchisch oder demokratisch, revolutionär oder
konservativ! Ihn kümmert anderes. Sein »Eigensinn« ist wie der tiefe,
herrliche, gottgewollte Eigensinn jedes Grashalms auf nichts anderes
gerichtet als aufsein eigenes Wachstum. »Egoismus«, wenn man will.
Allein dieser Egoismus ist ein ganz und gar anderer als der verrufene
des Geldsammlers oder des Machtehrgeizigen!

Der Mensch mit jenem »Eigensinn«, den ich meine, sucht nicht Geld oder
Macht. Er verschmäht diese Dinge nicht etwa, weil er ein Tugendbold
und resignierender Altruist wäre - im Gegenteil! Aber Geld und Macht
und all die Dinge, um derentwillen Menschen einander quälen und am
Ende totschießen, sind dem zu sich selbst gekommenen Menschen, dem
Eigensinnigen, wenig wert. Er schätzt eben nur eines hoch, die
geheimnisvolle Kraft in ihm selbst, die ihn leben heißt und ihm
wachsen hilft. Diese Kraft kann durch Geld und dergleichen nicht
erhalten, nicht gesteigert, nicht vertieft werden. Denn Geld und Macht
sind Erfindungen des Mißtrauens. Wer der Lebenskraft in seinem
Innersten mißtraut, wem sie fehlt, der muß sie durch solche
Ersatzmittel, wie Geld, kompensieren. Wer das Vertrauen zu sich selber
hat, wer nichts anderes mehr wünscht, als sein eigenes Schicksal rein
und frei in sich zu erleben und ausschwingen zu lassen, dem sinken
jene überschätzten, tausendmal überzahlten Hilfsmittel zu
untergeordneten Werkzeugen herab, deren Besitz und Gebrauch angenehm,
aber nie entscheidend sein kann.

Oh, wie ich diese Tugend liebe, den Eigensinn! Wenn man sie erst
einmal erkannt und etwas davon in sich gefunden hat, dann werden die
vielen bestempfohlenen Tugenden allesamt merkwürdig zweifelhaft.

Der Patriotismus ist so eine. Ich habe nichts gegen ihn. Er setzt an
Stelle des Einzelnen einen größeren Komplex. Aber so richtig als
Tugend geschätzt wird er doch erst, wenn das Schießen losgeht - dieses
naive und so lächerlich unzulängliche Mittel, »die Politik
fortzusetzen«. Den Soldat, der Feinde totschießt, hält man doch
eigentlich immer für den größeren Patrioten als den Bauern, der sein
Land möglichst gut anbaut. Denn letzterer hat davon selber Vorteil.
Und komischerweise gilt in unserer verzwickten Moral stets diejenige
Tugend für zweifelhaft, die ihrem Inhaber selber wohltut und nützt!
Warum eigentlich? Weil wir gewohnt sind, Vorteile immer auf Kosten
anderer zu erjagen. Weil wir voll Mißtrauen meinen, immer gerade das
begehren zu müssen, was ein anderer hat.

Der Wildenhäuptling hat den Glauben, die Lebenskraft der von ihm
getöteten Feinde gehe in ihn selber über. Liegt nicht dieser selbe
arme Negerglaube jedem Krieg zugrunde, jeder Konkurrenz, jedem
Mißtrauen zwischen den Menschen? Nein, wir wären glücklicher, wenn wir
den braven Bauer mindestens dem Soldaten gleichstellen würden! Wenn
wir den Aberglauben aufgeben könnten, das, was ein Mensch oder ein
Volk an Leben und Lebenslust gewinne, müsse unbedingt einem andern
weggenommen sein!

Nun höre ich den Lehrer sprechen: »Das klingt ja sehr hübsch, aber
bitte betrachten Sie die Sache einmal ganz sachlich vom
nationalökonomischen Standpunkt aus! Die Weltproduktion ist — «

Worauf ich erwidere: »Nein, danke. Der nationalökonomische Standpunkt
ist durchaus kein sachlicher, er ist eine Brille, durch die man mit
sehr verschiedenen Ergebnissen schauen kann. Zum Beispiel vor dem
Kriege konnte man nationalökonomisch beweisen, daß ein Weltkrieg
unmöglich sei oder doch nicht lange dauern könne. Heute kann man,
ebenfalls nationalökonomisch, das Gegenteil beweisen. Nein, lasset uns
doch einmal Wirklichkeiten denken, statt dieser Phantasien!«

Es ist nichts mit diesen »Standpunkten«, sie mögen heißen, wie sie
wollen, und sie mögen von den fettesten Professoren vertreten werden.
Sie sind alle Glatteis. Wir sind weder Rechenmaschinen noch
sonstwelche Mechanismen. Wir sind Menschen. Und für den Menschen gibt
es nur einen natürlichen Standpunkt, nur einen natürlichen Maßstab. Es
ist der des Eigensinnigen. Für ihn gibt es weder Schicksale des
Kapitalismus noch des Sozialismus, für ihn gibt es kein England und
kein Amerika, für ihn lebt nichts als das stille, unweigerliche Gesetz
in der eigenen Brust, dem zu folgen dem Menschen des bequemen
Herkommens so unendlich schwerfällt, das dem Eigensinnigen aber
Schicksal und Gottheit bedeutet.

Es scheint nun einmal so zu sein, daß die Völker überhaupt nichts
»lernen«, weder aus verlorenen noch aus gewonnenen Kriegen, von allen
Tätigkeiten scheint gerade das Lernen die, wozu sie am schwersten zu
bringen sind. Was alles hätten die Sieger, was alles die Besiegten aus
den Kriegen 1870, 1914 und 1939 lernen können! Aber dieses Lernen
wird, so scheint es, jeweils weder von den Völkern noch von deren
führender Oberschicht geleistet, sondern immer nur von einer dünnen
und machtlosen Schicht von Geistigen. Diese kleine und einflußlose
Schicht produziert zwar Erkenntnisse, sie stellt Wahrheiten fest,
welche aber immer erst in einer zu Schlagwörtern verzerrten Form und
um eine Generation zu spät den Weg in die Menge finden. Es folgt
daraus, so scheint es, daß Verzweiflung die eigentliche und legitime
Haltung der Erkennenden sein müsse, so wie Drauflosleben und
Blindbleiben die der Völker. Dennoch scheint es aber hinter oder über
dem Tatsächlichen und Manifesten eine echtere, haltbarere und
sinnvollere Wirklichkeit zu geben, zu der unsre Philosophien und
Religionen den geahnten Zugang suchen, und um deren wegen es sich
dennoch lohnt zu leben

Samstag, 15. Mai 2010

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, Im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

November 1905

Vergänglichkeit

Vom Baum des Lebens fällt
Mir Blatt um Blatt,
O taumelbunte Welt,
Wie machst du satt,
Wie machst du satt und müd,
Wie machst du trunken!
Was heut noch glüht,
Ist bald versunken.
Bald klirrt der Wind
Über mein braunes Grab,
Über das kleine Kind
Beugt sich die Mutter herab.
Ihre Augen will ich wiedersehn,
Ihr Blick ist mein Stern,
Alles andre mag gehn und verwehn,
Alles stirbt, alles stirbt gern.
Nur die ewige Mutter bleibt,
Von der wir kamen,
Ihr spielender Finger schreibt
In die flüchtige Luft unsre Namen.

Wie eine Welle

Wie eine Welle, die vom Schaum gekränzt
Aus blauer Flut sich voll Verlangen reckt
Und müd und schön im großen Meer verglänzt -

Wie eine Wolke, die im leisen Wind
Hinsegelnd aller Pilger Sehnsucht weckt
Und blaß und silbern in den Tag verrinnt -

Und wie ein Lied am heißen Staßenrand
Fremdtönig klingt mit wunderlichen Reim
Und dir das Herz entführt weit über Land -

So weht mein Leben flüchtig durch die Zeit,
Ist bald vertönt und mündet doch geheim
Ins Reich der Sehnsucht und der Ewigkeit.

Julikinder

Wir Kinder im Juli geboren
Lieben den Duft des weißen Jasmin,
Wir wandern an blühenden Gärten hin
Still und in schwere Träume verloren.

Unser Bruder ist der scharlachene Mohn,
Der brennt in flackernden roten Schauern
Im Ährenfeld und auf den heißen Mauern,
Dann treibt seine Blätter der Wind davon.

Wie eine Julinacht will unser Leben
Traumbeladen seinen Reigen vollenden,
Träumen und heißen Erntefesten ergeben,
Kränze von Ähren und roten Mohn in den Händen.

Der Liebende

Nun liegt dein Freund wach in der milden Nacht,
Noch warm von dir, noch voll von deinem Duft,
Von deinem Blick und Haar und Kuß - o Mitternacht,
O Mond und Stern und blaue Nebelluft!
In dich, Geliebte, steigt mein Traum
Tief wie in Meer, Gebirg und Kluft hinein,
Verspritzt in Brandung und verweht zu Schaum,
Ist Sonne, Wurzel, Tier,
Nur um bei dir,
Um nah bei dir zu sein.
Saturn kreist fern und Mond, ich seh sie nicht,
Seh nur in Blumenblässe dein Gesicht,
Und lache still und weine trunken,
Nicht Glück, nicht Leid ist mehr,
Nur du, nur ich und du, versunken
Ins tiefe All, ins tiefe Meer,
Darein sind wir verloren,
Drin sterben wir und werden neugeboren.

Klage

Uns ist kein Sein vergönnt. Wir sind nur Strom,
Wir fließen willig allen Formen ein:
Dem Tag, der Nacht, der Höhle und dem Dom,
Wir gehn hindurch, uns treibt der Durst nach Sein.

So füllen Form um Form wir ohne Rast,
Und keine wird zur Heimat uns, zum Glück, zur Not,
Stets sind wir unterwegs, stets sind wir Gast,
Uns ruft nicht Feld noch Pflug, uns wächst kein Brot.

Wir wissen nicht, wie Gott es mit uns meint,
Er spielt mit uns, dem Ton in seiner Hand,
Der stumm und bildsam ist, nicht lacht noch weint,
Der wohl geknetet wird, doch nie gebrannt.

Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern!
Danach ist unsre Sehnsucht ewig rege,
Und bleibt doch ewig nur ein banges Schauern,
Und wird doch nie zur Rast auf unsrem Wege.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Oft ist das Leben..

Oft ist das Leben lauter Licht
Und funkelt freudefarben
und lacht und fragt nach denen nicht,
Die litten, die verdarben.

Doch immer ist mein Herz bei denen,
Die Leid verhehlen
Und sich am Abend voller Sehnen
Zu weinen in die Kammer stehlen.

So viele Menschen weiß ich,
Die irren leidbeklommen,
All ihre Seelen heiß ich
Mir Brüder und willkommen.

Gebückt auf nasse Hände
Weiß ich sie abends weinen,
Sie sehen dunkle Wände
Und keine Lichter scheinen.

Doch tragen sie verborgen,
Verirrt, und wissen’s nicht,
Durch Finsternis und Sorgen
Der Liebe süßes Licht.

Kennst Du das auch?

Kennst du das auch, dass manchesmal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehen musst?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den ein plötzlich Heimweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt - kennst du das auch?

Die Flamme

Ob du tanzen gehst in Tand und Plunder,
Ob dein Herz sich wund in Sorgen müht,
Täglich neu erfährst du doch das Wunder,
Dass des Lebens Flamme in dir glüht.

Mancher lässt sie lodern und verprassen,
Trunken im verzückten Augenblick,
Andre geben sorglich und gelassen
Kind und Enkeln weiter ihr Geschick.

Doch verloren sind nur dessen Tage,
Den sein Weg durch dumpfe Dämmrung führt,
Der sich sättigt in des Tages Plage
Und des Lebens Flamme niemals spürt.

Das Leben, das ich selbst gewählt

Ehe ich in dieses Erdenleben kam
Ward mir gezeigt, wie ich es leben würde.
Da war die Kümmernis, da war der Gram,
Da war das Elend und die Leidensbürde.
Da war das Laster, das mich packen sollte, Da war der Irrtum, der gefangen nahm.
Da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte, Da waren Haß und Hochmut, Stolz und Scham.

Doch da waren auch die Freuden jener Tage, Die voller Licht und schöner Träume sind, Wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage, Und überall der Quell der Gaben rinnt.
Wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden, Die Seligkeit des Losgelösten schenkt, Wo sich der Mensch der Menschenpein entwunden Als Auserwählter hoher Geister denkt.

Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute, Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.
Mir ward gezeigt die Wunde draus ich blute, Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.
Und als ich so mein künftig Leben schaute, Da hört ein Wesen ich die Frage tun, Ob ich dies zu leben mich getraute, Denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.

Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme — »Dies ist das Leben, das ich leben will!« — Gab ich zur Antwort mit entschloßner Stimme.
So wars als ich ins neue Leben trat
Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
So ward ich geboren in diese Welt.
Ich klage nicht, wenns oft mir nicht gefällt, Denn ungeboren hab ich es bejaht.